Der bekannte österreichische Journalist Erich Vogl lebt nicht nur seit über 15 Jahren in Wien, sondern ist auch promovierter Historiker. Was liegt da also näher, als dass er uns auf eine hochinteressante, geschichtliche Sightseeing-Tour durch Europas Hauptstadt der Gemütlichkeit mitnimmt und uns in deren Kaffeehauskultur einführt. 

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Bild: zVg

Erich Vogl

Kaffeehausbesuch aus Leidenschaft

Gustav Klimt, Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Joseph Roth, Karl Kraus, Georg Trakl, Elias Canetti, Hermann Broch, Robert Musil, Leo Perutz, Alban Berg, Franz Lehar. Kunst- und Kulturgrössen von Weltrang. Sie hatten eine gemeinsame Leidenschaft. Das Cafe Museum, nicht zuletzt ob seiner illustren Gäste seit dem Fin de Siecle eines der berühmtesten Cafes Wiens. Wien um 1900, das war nicht nur die viertgrösste Stadt der Erde (2 Millionen Einwohner), sondern auch die Welthauptstadt der Kultur und der Wissenschaft (an dieser Stelle und exemplarisch sei hier nur etwa Siegmund Freud erwähnt). Die Cafes dienten als Ort der Inspiration. Es wurde geraucht und geredet, getrunken und geschrieben. Grosse Gedanken wurden gewälzt und zu Papier gebracht. Wer Wien verstehen will, seinen einzigartigen Charme, sein unnachahmliches Flair, das nicht einmal die Chinesen in noch so detailgetreuen Nachbauten erzeugen könnten (und die Chinesen können vieles detailgetreu nachahmen, -bauen und erzeugen), der muss diese Cafes besuchen. Ein paar Stunden verweilen. Dann wird er verstehen.

Alfred Polgar, einer der grandiosen Kaffeehausliteraten Wiens, fand einmal  die treffenden Zitate zum sehr komplexen Verhältnis der Wiener zu ihren Cafes: „Im Kaffeehaus sitzen Leute, die alleine sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen!” Und über das bekannte Cafe Central: „Es ist kein Kaffeehaus wie andere Kaffeehäuser, sondern eine Weltanschauung, und zwar eine, deren innerster ­Inhalt es ist, die Welt nicht anzuschauen.“ Wer mehr über meine Lieblingscafes in Wien erfahren möchte, sollte sich hier einklicken.

Cafe Central (Bild: www.palcoreale.com)

"A schene Leich"

Genauso eine Einzigartigkeit nehmen die anderen Cafes für sich in Anspruch. Gemein ist ihnen jedoch der Hauch von Hochmut und die betont grantigen und subtil witzelnden Kellner. Subtilität und Morbidität ist dem Wiener Bewohner eigen, sagt man – wohl nicht zu unrecht. Nicht unähnlich dem britischen Naturell, doch ein wenig hintergründiger und mit Sicherheit noch bösartiger. Und legendär ist die Leidenschaft für den Tod. Ein üppiges Begräbnis nennt der Wiener „A schene Leich“ (eine schöne Leiche). Der Wiener Zentralfriedhof ist Europas grösste Nekrophilie, seit der Eröffnung 1874 wurden hier drei Millionen Menschen begraben. Gesäumt ist dieses riesige Areal von prächtigen Mausoleen, Prunk und Pomp, als wäre hier der Direktzugang ins Paradies. Andre Heller nannte den Zentralfriedhof einmal liebevoll ein „Aphrodisiakum für Nekrophile“. Zusammenfassend sei der Wiener Chansonnier Georg Kreisler zitiert: „Der Tod, das muss ein Wiener sein.“

Wiener Zentralfriedhof (Bild: iStockphoto)

Sissi und ihr Göttergatte

Die meisten der berühmten Cafes, die für den Wiener Charakter so typisch dastehen, befinden sich standesgemäss in der inneren Stadt. Dort, wo Prunk und Protz der Habsburger eine vergangene, grosse Epoche dokumentieren. Die prächtige und pompöse Ringstrasse, errichtet in der Ära des Kaisers Franz Joseph (ja, das war der Göttergatte von Sissi, die gleich bei der Spanischen Hofreitschule und der Schatzkammer mit einem touristisch perfekt in Szene gesetztem Museum auf Glanz gehalten wird! Und er, der Kaiser Franzl eben, regierte übrigens die unfassbare Periode von 1848 bis 1916), wird gesäumt von Bauten, die mit pittoresker Wucht den Besucher betören und bedrängen. Hofburg, Parlament, Kunst und Naturhistorisches Museum, dazwischen thront mächtig Maria Theresia. Auf dem Heldenplatz gleich nebenan platziert sind standesgemäss österreichische Kriegshelden hoch zu Ross. Auch wenn der eine kein wirklicher Österreicher ist. Prinz Eugen von Savoyen könnte wohl eher als Franzose durchgehen, was die Österreich freilich nicht so gerne hören und lesen dürften. Schliesslich ist der Prinz eine wichtige Identitätsfigur der turbulenten Geschichte des Habsburgerreiches. Als erfolgreicher Kämpfer gegen die Türken fungierte er bis ins 20. Jahrhundert hinein als Nationalheld und Bewahrer der christlichen Kultur. Ihm gegenüber auf dem Heldenplatz ein Monument für Erzherzog Karl. Der schaffte es, Napoleon 1809 dessen erste Niederlage in der Schlacht zuzufügen – ein Denkmal für die Ewigkeit, basierend auf einem historischen Augenblick. Denn gleich nach der Schlacht schlug das korsische Kriegsgenie zurück und besetzte gleich einmal Wien. Egal. Das Denkmal hat diese Folgewirkungen dezent ignoriert. Und tut es freilich immer noch.

Wiener Hofburg (Bild: iStockphoto)

Hitler, Mozart und Beethoven

Der Heldenplatz steht aber nicht nur für längst vergangene Glanztaten, sondern auch für eines der düstersten Ereignisse der österreichischen Geschichte. Als ein Österreicher sein Heimatland von der Landkarte strich und es dem Deutschen Reich einverleibte. Im März 1938  verkündete Adolf Hitler den „Anschluss“, umjubelt von verzückten Massen, womit das wohl dunkelste Kapitel österreichischer Geschichte eingeläutet wurde. Auch heute strömen die Massen auf den Heldenplatz, zum Glück nur noch aus harmlosen Gründen des Staunens. Knapp 13 Millionen Touristen pro Jahr, aus aller Welt, vor allem aber aus Deutschland, Russland, Amerika und Italien, bereisten die 1,8 Millionen Einwohner-Stadt, in der Mozart und Beethoven lebten und starben. Kein schlechter Platz für diese Dinge. 

Heldenplatz (Bild: iStockphoto)

Eine grosse Liebe

Seit nunmehr 15 Jahren lebe ich in und liebe ich diese Stadt. Ich habe zwar nichts mit Komponieren am Hut, auch werde ich wohl niemals auch nur ein bisschen berühmt werden, aber eines verbindet mich mit Mozart und Beethoven. Die Faszination zu Wien. Die Stadt inspiriert. Die Musikgenies zum Musikmachen, mich – zu was auch immer, ich bin noch am Überlegen. Die Fakten: In 10 Gehminuten erreiche ich von meiner Wohnung den Heldenplatz, die angrenzenden, wunderschönen Volksgarten und Burggarten. Ich liebe es, morgens durch diese Innenstadt zu laufen, jedes Mal aufs Neue tief beeindruckt von all der dekadenten Pracht. Ich liebe es, stundenlang durch Schönbrunn, dem Versailles der Habsburger, zu flanieren, oder einfach nur am Graben, eine der beliebtesten Strassen der Altstadt, deren Entstehung bis zu den Römern zurückreicht (als Wien noch Vindobona hiess), und die zum Stephansdom führt in einem Gastgarten zu sitzen und die Sonne zu geniessen. Geschichte inhalieren und glücklich sein, hier für immer sein zu dürfen. Eine berechtigte Frage drängt sich ins Visier des Lesers. Und was passiert des Nachts in Wien? Auch da lässt sich Lebhaftes und Spannendes berichten. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Schönbrunn (Bild: iStockphoto)

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