Lambert Wilson („Matrix-Revolutions“, „La Boum 2“, „Von Menschen und Göttern“) zählt in Europa und Hollywood zu den erfolgreichsten Schauspielern. Am diesjährigen Locarno Film Festival spielte er als Jurypräsident eine bedeutende Rolle. Stilpalast traf den 65-jährigen Franzosen im Tessin zum Exklusiv-Interview und sprach mit ihm unter anderem über den Gewinnerfilm, die Zukunft des Kinos, seine Leidenschaften und das Glücklichsein.

Bilder:  © Locarno Film Festival

Als Präsident der Jury spielten Sie beim 76. Locarno Film Festival eine wichtige Rolle. Sie waren auch schon bei diversen anderen renommierten Filmfestivals in dieser Funktion tätig. Was reizt Sie an der Juryarbeit besonders?

Ob als Präsident oder als „normales“ Jurymitglied: Ich liebe diese Aufgabe. Als Präsident bist du Botschafter für das Festival und organisierst bzw. leitest die Gespräche mit den anderen Jurymitgliedern. Das kann manchmal etwas schwieriger oder leichter sein. Dieses Mal war es sehr leicht. Wir waren wie eine kleine Familie und hatten hochspannende Gespräche. Auch wenn wir nicht immer der gleichen Meinung waren, blieben immer alle sachlich und wir fanden auf intelligente Weise stets einen guten Kompromiss, mit dem alle Jurymitglieder leben konnten. In der diesjährigen Jury sassen zwei Personen, die in renommierten Filmorganisationen grosse Verantwortung tragen. Zum einen ist dies Matthijs Wouter Knol, der als Direktor der Europäischen Akademie vorsteht, zum anderen Lesli Klainberg, die als Direktorin des New York Film Festivals im Lincoln Center amtet. Beide wissen viel mehr über Filme als ich und ich konnte viel von ihnen lernen. Zudem hatte ich endlich einmal genügend Zeit, ins Kino zu gehen. Es war schön und inspirierend, viele Filme von verschiedenen Filmemachern aus der ganzen Welt zu sehen – und auch solche, die gar nie in einen Verleih kommen werden.

Gehen Sie denn als Privatmann gerne und oft ins Kino?

Um ehrlich zu sein: Nein. Wenn du den ganzen Tag als Schauspieler an einem Set warst, willst du nach Feierabend nicht noch mehr Filme sehen. Ich bin an ganz anderen Dingen interessiert. Ich liebe zum Beispiel die Musik, Oper und Kunst.

Welches sind Ihrer Meinung nach die entscheidenden Kriterien für die Bewertung eines Films?

Unabhängig von den Themen, unabhängig von der Form des Films, die permanente Frage bei der Bewertung lautet: Ist das grossartiges Kino? Bleibt der Film nachhaltig in Erinnerung, bewegt er uns, bringt er uns gar zum Nachdenken? Es gibt Filme, die unterhalten uns prächtig, geraten aber schnell wieder in Vergessenheit. Glücklicherweise hat uns hier in Locarno die künstlerische Leitung eine sehr vielfältige und interessante Auswahl an Erstlingsfilmen und Dokumentationen präsentiert. Wir mussten unsere Kriterien zwar immer wieder etwas anpassen, aber die eine Frage stand stets im Zentrum: Ist das Kino? Ist es ein Kunstwerk im Kino? Macht es Kino?

 

Die Jury hat am Ende den Spielfilm „Mantagheye Bohrani“ („Critical Zone“) des iranischen Regisseurs Ali Ahmadzadeh zum Gewinner des «Goldenen Leoparden» erkoren…

Ja, und ich möchte betonen, dass dies ein einstimmiger Juryentscheid war – ganz zu meiner Freude und Erleichterung. Denn ich habe schon erlebt, dass es in der Jury zu regelrechten Kämpfen kam und Leute aggressiv wurden, weil sie so sehr davon besessen waren, einen Film zu verteidigen.

Was hat Ihnen am Gewinnerfilm besonders gut gefallen?

Ich denke, es gibt aktuell verstärkt Überlegungen, dass die Filme wieder etwas mehr von der Menschheit im Laufe der Zeit zeigen sollten. Wir müssen wieder besser verstehen können, was es heisst, ein Mensch zu sein – insbesondere in der heutigen Welt. Bereits in der Antike gingen die Leute ins Theater und sahen sich Tragödien an, die ihnen halfen, ihr eigenes Schicksal besser zu begreifen. Es gibt leider eine junge Generation von Filmemachern, die sehr stark von dem geprägt ist, was ihnen an den Filmschulen vermittelt wird. Dabei ist oft das Konzept für einen Film wichtiger, als der eigentliche Inhalt oder die Art und Weise, wie Dinge gemacht werden. Wir haben auch Arbeiten von jungen Regisseuren, gesehen die mehr an der Originalität einer Präsentation interessiert waren, als am realen Kontext. Wie dem auch sei, im Film, dem wir den Goldenen Leoparden verliehen haben, ist ein sehr starkes Einfühlungsvermögen zu erkennen. Die Not und die Härte im Leben der Hauptfigur berühren die Zuschauer. Der Film ist sehr authentisch in seiner Form, technisch sehr ausgereift, aber ohne dies zu demonstrieren. Der Film ist ein 99-minütiger Schrei im Namen der Rebellion und der Freiheit. Einfach grossartig!

Sie selbst zählen in Europa und Hollywood zu den erfolgreichsten, talentiertesten und vielseitigsten Schauspielern. Wenn Sie auf all die Filme zurückblicken, in denen Sie mitgewirkt haben, welchem würden Sie den «Goldenen Leoparden» verleihen?

Nun, ich war und bin glücklicherweise immer noch ein vielbeschäftigter Schauspieler. Aber in meiner Filmografie gibt es auch eine Menge Unsinn, der den Test der Zeit nicht überstehen und schon gar nicht in die Filmgeschichte eingehen wird. Aber da gibt es einen Film, für den ich in Cannes eine Auszeichnung erhalten habe. Es ist der Spielfilm „Von Göttern und Menschen“ von Xavier Beauvois, in dem ich einen Mönch in einem Kloster in Algerien verkörpere. Der Film wurde 2010 auf den Filmfestspielen von Cannes präsentiert und gewann den Jury-Preis.


Lambert Wilson als Mönch im mehrfach preisgekrönten Drama «Von Menschen und Göttern». (Bild: © Mars Distribution)

Aus sentimentalen Gründen liebe ich auch meine Rolle in „Five Days One Summer“ des amerikanischen Regisseurs Fred Zinnemann, den wir zusammen mit Sean Connery in der Schweiz gedreht haben – und zwar im Engadin. Wir waren nur drei Schauspieler, und es war das erste Mal, dass ich eine so tragende Rolle in einem internationalen Film spielen durfte. Es ist ein guter Film. Er spielt in den 30er-Jahren und ich stelle einen Schweizer Reiseführer dar. Dabei musste ich lernen, wie man „Grüezi mitenand“ sagt. Ich musste dies ziemlich oft üben. Ich liebe diesen Film, weil er in seiner Form sehr authentisch ist. Ich wünschte, die Leute würden diesen Film wiederentdecken, denn er ist ein grossartiger Klassiker. Die meisten Regisseure kennen den Film, weil sie die Arbeit von Fred Zinnemann, der unter anderem „Zwölf Uhr mittags“, „Der Schakal“ und „Verdammt in alle Ewigkeit“ gedreht hat, schätzen.

Lambert Wilson mit Sean Connery und Betsy Brantley in «Five Day One Summer» © Warner Brothers

 

Ab dem 31. August 2023 sind Sie mit dem neuen Film „Die einfachen Dinge“ (Les Choses simples) in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.

Sie spielen darin einen gutaussehenden, reichen Mann, der vom Erfolg verwöhnt ist, aber trotzdem nicht glücklich ist. Würden Sie sagen, dass Sie in Ihrem realen Leben das persönliche Glück gefunden haben?

Ich habe mein Glück und mein Gleichgewicht tatsächlich mittlerweile gefunden. Am glücklichsten bin ich in den Bergen, beim Wandern mit meinen Hunden. Und wenn ich auf der Bühne stehe, singe oder Texte mit Musik rezitiere, bin ich ebenfalls zutiefst glücklich.

Sie sind ja auch als guter Bariton bekannt…

Ob gut, das müssen Sie selbst beurteilen (lacht). Zumindest hege ich eine grosse Leidenschaft für die Musik. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen und zu singen. Aber ich mag auch selbst Konzerte besuchen. Tatsächlich gehe ich öfters an Konzerte als ins Kino. Ich habe in Frankreich auch schon ein Musik Festival organisiert.

 

Wären Sie manchmal lieber mehr Musiker als Schauspieler ?

Ja, durchaus. Und dies nicht nur, weil ich von der Musik überwältigt bin und sie von morgens bis abends in allen Variationen höre. Sie ermöglicht auch entspanntere menschliche und berufliche Beziehungen. Denn das Ego der Musiker, mit denen ich zusammenarbeite, ist in der Regel viel geringer als das der Schauspieler.

Machen Sie auch mal Ferien?

Nein, mein Leben ist auch so schon ziemlich aufregend. Mir genügen drei Tage zuhause, um mich zu erholen.

Konnten Sie die Tage während dem Locarno Film Festival im Tessin auch etwas geniessen oder war es nur Arbeit?

Tja, viel Zeit für Sightseeing hatte ich nicht. Ich sah mir 17 – teilweise sehr lange – Filme an. Ich war also sehr, sehr beschäftigt. Es war wie eine psychedelische Erfahrung für mein Gehirn. Aber als die Beratung in der Jury zu Ende war, hatten wir in den letzten beiden Tagen etwas freie Zeit, die wir alle zusammen für eine Bootstour auf die Isole di Brissago und einen Stadtrundgang durch Locarno nutzten. Wir hatten da tolle und durchaus auch erholsame Stunden.

Dann gönnen wir Ihnen jetzt wieder eine Pause und sagen vielen Dank fürs Interview!

 

«Goldener Leopard» für iranischen Film

Nach elf Tagen mit über 200 Screenings und zahlreichen Events ging am vergangenen Wochenende mit der Verleihung des «Goldenen Leoparden» das 76. Locarno Film Festival zu Ende. Der Hauptpreis wurde dem Spielfilm «Mantagheye Bohrani» («Critical Zone») des iranischen Regisseurs Ali Ahmadzadeh zugesprochen. Der Film über den Alltag eines Drogendealers in Teheran reflektiert in verschlüsselten Bildern das Leben in einem Land, in dem ein freies Leben nur schwer möglich ist. Ahmadzadeh wurde vor dem Festival von den iranischen Behörden aufgefordert, seinen Film nicht in Locarno zu zeigen und durfte nicht zum Festival reisen. Die Auszeichnung nahm an seiner Stelle Produzent Sina Ataeian Dena entgegen, der die Verleihung des «Goldenen Leoparden» für einen eindringlichen Appell nutzte: «Ich will, dass Sie wütend sind, dass Ali nicht hier ist. Ich will, dass Sie wütend sind, dass Künstler zensiert werden, nicht nur Ali, nicht nur im Iran. Ich will, dass Sie besorgt sind, dass die Meinungsfreiheit von links und rechts angegriffen wird.»


Sina Ataeian Dena (Bild: © Locarno Film Festival)

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